Die Olympischen Spiele von Tokyo werden wohl in ein paar Monaten mit einem Jahr Verspätung stattfinden. Es werden – aufgrund von Corona – andere Spiele als wir sie in der Vergangenheit hatten. Das friedliche Miteinander der Nationen, das kunterbunte Durcheinander der Zuschauer aus der ganzen Welt und der fast schon greifbare Olympische Spirit – all das wird nur rudimentär zu spüren sein. Tokyo wird das Beste aus der dieser besonderen Situation machen und sich als würdiger Gastgeber präsentieren. Wie genau es anfühlt, das werden wir sehen, wenn am 23. Juli die XXXII. Olympischen Sommerspiele starten und die mediale Berichterstattung wieder gewaltig sein wird.
Tokyo 2021 ist so nah, Peking 2022 so weit weg
Über Corona und die Verschiebung von Tokyo 2020 wird oftmals vergessen, dass gerade einmal 6,5 Monate nach der Eröffnungsfeier in Tokyo schon die nächste Eröffnungsfeier ansteht: die der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking. Etwas, dass ich mit gemischten Gefühlen sehe – und dies, obwohl Olympische Spiele für mich DAS Highlight im Sport sind. Aber der Reihe nach:
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat im Juli 2015 entschieden, dass Peking Gastgeber der Olympischen Winterspiele 2022 sein wird. Die chinesische Hauptstadt setzte sich knapp mit 44 zu 40 Stimmen gegen das kasachische Almaty durch. Damit wird Peking als erste Stadt in der Historie der Olympischen Spiele nach den Sommerspielen nun auch die Winterspiele ausrichten. Und die Olympischen Spiele werden nach Pyeongchang 2018 und Tokio 2020 (bzw. 2021, falls sie tatsächlich stattfinden sollte) dreimal hintereinander in Asien ausgetragen – auch das ist ein Novum. Glaubt man dem IOC, dann konnte Peking vor allem mit der organisatorischen Erfahrung der Sommerspiele 2008 punkten. Das ist keinesfalls von der Hand zu weisen – Peking hat 2008 eine phänomenale Inszenierung dargeboten.
Wintersportort Peking?
Nun ist Peking aber nicht gerade als Wintersportort bekannt. Winterspiele in Peking wirken auf den ersten Blick genauso surreal wie eine Eishockey-WM in Brasilien. Oder eine Fußball-WM in Katar. Ok, das war ein saudoofes Beispiel. Aber vielleicht auch nicht: Gerade das Beispiel Katar zeigt, dass am Ende doch das vollere Bankkonto ausschlaggebend sein kann. Ist Peking am Ende des Tages vielleicht doch ein bislang verkannter Wintersportort und die Wahl des IOC daher total logisch? Fragt man das national chinesische OK, dann lautet die Antwort ohne Zweifel: JA. Allerdings spielt Wintersport in China traditionell quasi keine Rolle. Aber mit dem Zuschlag für die 2022 hat sich viel getan: vor allem im Norden des Landes wurden weitläufige Skigebiete gebaut, um den Mittelstand für den Wintersport zu begeistern. Die Tatsache, dass im wärmeren und dicht besiedelten Süden Chinas Wintersport auch 2021 noch völlig unter dem Radar läuft, wird in der staatlich orchestrierten Berichterstattung vollkommen ignoriert.
Infrastruktur bietet Zugang zum Schnee
Abseits dessen hat Peking zweifelsohne viele Attraktionen zu bieten, aber eine Sache fehlt – im Gegensatz zu vergangenen Ausrichtern wie Calgary, Lillehammer oder Vancouver – dann doch: Schnee. Das chinesische Wintersportkonzept setzt daher auf viel Kunstschnee und lange Wege: Die Hälfte der rund 100 Olympiasiege wird in den Bergen im rund 170 Kilometer entfernten Zhangjiakou vergeben. Die alpinen Ski-Wettbewerbe, Bob, Rodeln und Skeleton sollen in dem zwischen Peking und Zhangjiakou gelegenen Yanqing stattfinden. Ein Hochgeschwindigkeitszug soll die Fahrtzeit nach Zhangjiakou auf 70 Minuten verkürzen; die nach Yanqing auf rund 20 Minuten. Die neue Bahnlinie wird genauso Mrd. EUR kosten wie der Ausbau des Skigebiets von Yanqing. Als ‚Ausgleich’ werden in Peking selbst zahlreiche Sportstätten der Sommerspiele 2008 genutzt (nach entsprechendem Umbau): Aus dem Water-Cube, einst die olympische Schwimmarena, soll der Ice-Cube für Eishockey werden. Außerdem sollen im berühmten Olympiastadion von 2008, dem Vogelnest, die Eröffnungs- und Schlussfeiern zelebriert werden.

Nationalstadion in Peking / Olympiastadion von 2008 (Quelle: Shutterstock)
Alles das, was sich das IOC noch vor Jahren auf die Fahnen geschrieben hat (Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Abkehr vom Gigantismus) schaut anders aus. Auch wenn die politische Lage in Kasachstan alles andere als rosig ausschaut: Almaty wäre in Anbetracht dieser Philosophie die bessere Wahl gewesen. Die kasachische Millionenstadt hatte mit Low-Budget-Spielen und kurzen Wegen geworben. Bis 2017 sollten 80 Prozent aller Sportstätten unabhängig von den Winterspielen fertig sein, alle Wettkampfstätten wären nur 30 Kilometer vom Olympischen Dorf entfernt gewesen. Außerdem konnte Almaty ein ganz besonderes Gut vorweisen: Schnee. Viel Schnee.
Warum Peking 2022?
Dazu müssen wir uns die wirtschaftlichen Rahmenparameter anschauen. Grundsätzlich gilt: Das IOC besitzt die alleinigen Vermarktungsrechte für die Olympischen Spiele und das Symbol der fünf Ringe. Und der finanzielle Wert dieser Rechte ist in den vergangenen 15-20 Jahren überdimensional gewachsen. Nicht nur das TV, sondern zunehmend auch globale Großsponsoren haben die Kraft des olympischen Mythos für sich erkannt. Keine andere Veranstaltung hat mit ihren assoziierten Werten wie Frieden, Fairness und Völkerverständigung ein vergleichbares (kommunikatives) Ass im Ärmel. All dies führte dazu, dass sich die Einnahmen des IOC seit der Olympiaperiode 1993 bis 1996, in welche die Spiele in Lillehammer und Atlanta fielen, bis zur Periode 2005 bis 2008 (Turin und Peking), von 2,6 Mrd. USD auf 5,4 Mrd. USD fast verdoppelten. Die Tatsache, dass sie Olympischen Spiele in Vancouver, London, Sotchi, Rio de Janeiro und Pyeongchang diese Zahlen abermals signifikant nach oben geschraubt haben, verwundert da niemanden.

Luftbild der Wintersportmetropole Peking (Quelle: Shutterstock)
Während einerseits knapp 50% der Erlöse stammt aus dem Verkauf der Mediarechte stammt, wachsen andererseits auch die Volumina der Sponsorships dauerhaft an. Um das Maximum an Sponsoringerlösen zu erwirtschaften, hat das IOC ein zweistufiges Sponsoringprogramm aus der Taufe gehoben.
The Olympic Partner – das Sinnbild für Premium-Sponsorships
Die erste Sponsorengruppe gehört zum sogenannten TOP-Programm (TOP ist eine Abkürzung für The Olympic Partners). Die zwölf TOP-Sponsoren erhalten als Gegenleistung für Millionenzahlungen jeweils die weltweiten Marketingrechte für die spezifische Produktkategorie. Zu diesen TOP-Sponsoren zählt u.a. TOYOTA für Mobility-Kategorie. Der vertragliche Beginn des Sponsorships wurde auf den Januar 2016 festgelegt – zunächst nur für den japanischen Markt und ab 2017 dann global. Zur finanziellen Größenordnung des Vertrages machten weder TOYOTA noch das IOC Angaben. Japanischen Medien nannten allerdings die Summe von ca. 820 Mio. USD für den Zeitraum bis 2024. Das wäre dann einer der bestdotierten Sponsoringverträge aller Zeiten. Angesichts des ‚asiatischen Ära‘ der Olympischen Spiele wundert es nicht, dass bspw. auch die Alibaba Group als TOP-Sponsor auftritt. Die anderen Mitglieder dieses elitären Kreises sind: airbnb, Allianz, Atos, Bridgestone, Coca-Cola, DOW, GE, intel, OMEGA, Panasonic, P&G, Samsung und Visa.
Nationale Sponsoren: großer Markt = hohe Einnahmen
Zu den internationalen TOP-Sponsoren gesellen sich in der zweiten Gruppe zusätzliche nationale Sponsoren. Die Gruppe erhält für ihr Investment ‚nur’ umfassende Marketingrechte im Gastgeberland. Doch auch dafür sind die Unternehmen willens, viel zu zahlen – vor allem wenn die Olympischen Spiele in einem wachsenden Markt wie China stattfinden. Diese Einnahmen fließen allerdings nicht an das IOC, sondern an das jeweilige Organisationskomitee.
Wie mächtig sind die Sponsoren bei der Vergabe?
Aus diesem gesamten Sponsoren-Konstrukt kann man rasch eine Sache ableiten: Je größer und interessanter die Märkte der Gastgeberländer sind, desto mehr können die Olympischen Spiele durch finanzstarke nationale Sponsoren profitieren. Und auch den TOP-Sponsoren wird es keinesfalls egal sein, ob sie sich der chinesischen Bevölkerung oder ‚nur’ der kasachischen vor Ort präsentieren dürfen. Kann man daraus tatsächlich einen kausalen Zusammenhang mit der Vergabe der Winterspiele 2022 nach Peking ableiten? Denkbar wäre es. Genauso möglich ist aber auch, dass die IOC-Repräsentanten einfach lieber ein paar Wochen in China als in Kasachstan verbringen wollen. Oder, oder, oder … Ich halte nichts von pauschalem Bashing der bösen Sponsoren oder einer Grundsatzkritik am IOC. Natürlich würde es mich wahnsinnig interessieren, wie solche Vergaben tatsächlich zustande kommen – aber das zu erfahren ist wohl doch unrealistisch.
Mein Plädoyer: Nachhaltigkeit statt Gigantismus
Ich sage: es wird Zeit, dass das IOC die Olympischen Spiele an eine Stadt vergibt, die wirtschaftliche wie ökologische Nachhaltigkeit nicht nur proklamiert, sondern auch mit Leidenschaft umsetzt. Ob die nachfolgenden Olympischen Spiele in Paris (Sommerspiele 2024) und Mailand / Cortina d’Ampezzo (Winterspiele 2026) diesen Anspruch erfüllen? Ich kann es nicht sagen. Die Chancen sind aber wesentlich besser, als in Peking.